Es steht schon seit längerem auf der Agenda der EU-Kommission:
Die bisherige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG soll in den nächsten Jahren durch eine neue Maschinenverordnung ersetzt werden. Am 21.04.2021 wurde nun ein neues Kapitel in diesem Revisionsprozess aufgeschlagen: Die EU-Kommission hat einen ersten konkreten Vorschlag für die neue Maschinenverordnung veröffentlicht, der hier zum Download zur Verfügung steht.
Mit Blick auf die Technische Dokumentation fällt besonders eine Neuerung ins Auge: Erstmals wird das Thema der digitalen Betriebsanleitung klar adressiert. Wird damit bereits das Ende der Print-Dokumentation eingeläutet?
Wir haben uns das Arbeitspapier genauer angeschaut und zeigen Ihnen, worauf sich die Hersteller künftig einstellen können.
Was sind die Gründe für die neue Maschinenverordnung?
Die Maschinenrichtlinie bildet seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2006 den zentralen Rechtsrahmen für das Inverkehrbringen von Maschinen in den EU-Binnenmarkt. Die enormen technologischen Fortschritte in Bereichen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz und kollaborative Robotik stellen die Industrie aber mittlerweile vor neue Herausforderungen – ganz besonders wenn es um Sicherheitsfragen in diesen Bereichen geht. Das Problem vieler Maschinenhersteller:
Die Vorschriften reichen in ihrer derzeitigen Form nicht mehr aus, um die neuen Risiken umfassend abzudecken, die sich aus den aufstrebenden Technologien ergeben. Genau hier setzt die EU-Kommission mit der neuen Maschinenverordnung an.
Das erklärte Ziel: Inkonsistenzen mit anderen EU-Produktvorschriften sollen aufgelöst und bestehende regulatorische Lücken in der aktuellen Maschinenrichtlinie geschlossen werden. Aus EU-Sicht möchte man damit ein innovationsförderndes Klima für die Wirtschaftsakteure schaffen, das nicht länger durch Rechtsunsicherheiten getrübt ist.
Warum wird aus der Maschinenrichtlinie eine Verordnung?
Die auffälligste Neuerung: Eine Richtlinie wird nun durch den EU-Rechtsakt einer Verordnung abgelöst. Was heißt das konkret? Die neue Maschinenverordnung wird bei Erscheinen unmittelbar Rechtswirkung entfalten und muss nicht erst in einem aufwändigen Prozess von den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Der Vorteil: So wird eine EU-weit einheitliche und rasche Durchführung der neuen Rechtsvorschriften sichergestellt. Unterschiedliche einzelstaatliche Auslegungen oder eine verzögerte Umsetzung der Bestimmungen, wie sie in einigen Fällen bei der Einführung der aktuellen Maschinenrichtlinie auftraten, gehören damit der Vergangenheit an.
Ab wann muss die neue Verordnung angewandt werden?
Es ist zu erwarten, dass den Unternehmen eine mehrjährige Übergangsfrist eingeräumt wird, bis die Regelungen endgültig umgesetzt sein müssen. Die alte Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird also voraussichtlich noch bis 2025 anwendbar bleiben.
Welche Neuerungen gelten für die Technische Dokumentation?
Auch im Bereich der Nutzerinformationen hat die EU-Kommission die Zeichen des digitalen Wandels erkannt und endlich konkrete Regelungen für die Technische Dokumentation in digitaler Form formuliert.
Folgende Beweggründe für diesen Schritt heben die Autoren in ihrem Entwurf hervor:
- Hohe Kosten für die Erstellung von Papierdokumentationen
- Belastungen für die Umwelt
- Administrativer Aufwand für die Hersteller
Wie sieht nun die neue Regelung konkret aus?
Beginnen wir mit der positiven Nachricht: In dem vorliegenden Entwurf wird den Herstellern erstmals und ausdrücklich erlaubt, die Technische Dokumentation in digitaler Form zur Verfügung zu stellen.
Wer sich an dieser Stelle bereits gedanklich vom Thema Print-Dokumentation verabschiedet, wird beim weiteren Lesen der Verordnung aber enttäuscht. Denn auf entsprechenden Wunsch des Kunden müssen die Dokumente zusätzlich zur digitalen Version kostenlos in Papierform geliefert werden.
Zur Bereitstellung der digitalen Anleitung werden zudem folgende Vorgaben gemacht:
- Auf der Maschine und in einem Begleitpapier muss angegeben werden, wie auf die digitale Anleitung zugegriffen werden kann.
- Es muss beschrieben werden, welche Version der Anleitung der Maschine des Kunden entspricht.
- Die digitale Anleitung muss in einem Format bereitgestellt werden, das es dem Endanwender ermöglicht, das Dokument herunterzuladen und auf einem Endgerät zu speichern. Dadurch wird sichergestellt, dass der Anwender jederzeit, insbesondere beim Ausfall der Maschine oder fehlender Internetverbindung, auf die Anleitung zugreifen kann.
Diese Anforderung gilt auch für Maschinen, bei der die Anleitung in die Software der Maschine eingebettet ist.
Ist das der Durchbruch für die digitale Technische Dokumentation?
In Herstellerkreisen hat man lange darauf gewartet, jetzt ist sie endlich da: Eine erste offizielle Aussage von EU-Seite zum Thema digitale Betriebsanleitung für Maschinen. Doch ist das wirklich schon der lang erhoffte Paradigmenwechsel für die Bereitstellung von Nutzerinformationen?
Spätestens beim zweiten Lesen der neuen Verordnung macht sich eine gewisse Skepsis breit. Im Hinterkopf bleibt vor allem der Aspekt der gedruckten Anleitung, die auf Kundenwunsch weiterhin zur Verfügung gestellt werden muss.
Im Bereich des Anlagen- und Sondermaschinenbaus dürfte diese Regelung die Hersteller dank der kleinen Stückzahlen vor keine allzu großen Schwierigkeiten stellen. Pro Anlage eine zusätzliche Anleitung zu drucken, bedeutet eben keinen unverhältnismäßigen Mehraufwand.
Bei Produkten mit großer Stückzahl sieht es da schon anders aus: Hier wird sich nicht so leicht eine kundenindividuelle Lösung für das Thema finden lassen, zumal zwischen Hersteller und Endanwender häufig noch Zwischenhändler stehen. Es liegt nahe, dass die Hersteller dann einfach jedem Produkt zusätzlich eine gedruckte Anleitung beifügen werden, um auf der sicheren Seite zu stehen. Bleibt es am Ende also doch wieder beim unhandlichen Handbuch in über 20 verschiedenen Sprachen? Zumindest in diesem Szenario würde sich mit der neuen Verordnung nicht viel am Status quo ändern und für die Hersteller wäre kaum etwas gewonnen.
Ein weiterer Aspekt, der aus Sicht der Dokumentationsersteller kritisch gesehen werden dürfte:
Das enorme Usability-Potenzial digitaler Informationsprodukte (Multimedia, praktische Suchfunktion, kontextabhängiger Zugriff) taucht in der neuen Regelung bislang nicht auf. Anstatt die ergonomischen Vorteile einer digitalen Informationsnutzung hervorzuheben, wird wieder nur die Frage nach der reinen Verfügbarkeit der digitalen Information gestellt. Angesichts der Allgegenwärtigkeit mobiler Endgeräte und smarter App-Lösungen erscheint diese Herangehensweise wenig zeitgemäß. Hier hätte man sich von Seiten der Industrie wahrscheinlich ein klareres Bekenntnis zum Nutzen digitaler Informationsprodukte gewünscht.
Trotz aller Kritik bleibt aber festzuhalten: Mit dem Entwurf zur neuen Maschinenverordnung sprechen die Autoren das Thema der digitalen Dokumentation erstmals explizit an und ermöglichen den Herstellern, neue Wege bei der Bereitstellung ihrer Produktinformationen zu gehen. Allein diese Tatsache zeugt schon von einer Änderung im Denken der EU-Kommission und ist ohne Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung.
Gut zu wissen ist auch: Durch das effektive Zusammenspiel von Redaktionstools und Content-Delivery-Portalen können Digital- und Print-Anleitung problemlos aus einer Quelle publiziert werden. Das hält den Pflegeaufwand für die Dokumentation gering und sorgt zumindest von technischer Seite aus für eine Entlastung der Unternehmen.
Zudem darf nicht vergessen werden: Noch sind die Bestimmungen nicht in Stein gemeißelt. Bei dem Entwurf der neuen Maschinenverordnung handelt es sich zunächst nur um ein Arbeitspapier. Der Entwurf liegt jetzt dem EU-Rat und dem EU-Parlament zur weiteren Beratung vor. Allein dieser Prozess kann 12 Monate dauern und lässt erfahrungsgemäß durchaus umfangreichere Änderungen der geplanten Regelungen erwarten.
Für die Hersteller und die Dokumentationsbranche bleibt die neue Maschinenverordnung also in jedem Fall ein spannendes Thema. Wir bei kothes behalten die kommenden Entwicklungen selbstverständlich im Blick und und informieren Sie zeitnah.
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