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Usability als ganzheitliche Produkteigenschaft

Geschrieben von Stefanie Langmann | 5. März 2019 05:00:00 Z

Was verbirgt sich hinter dem Schlagwort "Usability" und was hat das mit Technischer Dokumentation zu tun?

Ein Produkt muss "usable", also gebrauchstauglich sein; so fordert es nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch die aus dem Bereich der Softwareentwicklung stammende DIN EN ISO 9241. Damit ist gemeint: Ich als Hersteller möchte, dass man sich mit meinem Produkt schnell vertraut machen kann, dass man es sicher, effizient und effektiv anwenden kann und dass man auch nach längerem Nicht-Gebrauch schnell wieder damit zurechtkommt. Gleichzeitig soll die Anwendung meines Produkts im Sinne einer positiven "user experience" ein zufriedenstellendes Gefühl hinterlassen. Für Medizinprodukte ist der Usability-Test seit 2017 sogar Pflicht.

Nun sind all diese Prädikate zum einen nur schwer objektivierbar und zum anderen situationsabhängig, können also mit dem Nutzungskontext variieren. Nichtsdestotrotz ist ein hoher Grad an Usability nicht nur für Hersteller aus der Softwarebranche, sondern eigentlich für alle Branchen eine elementare Triebfeder der Produktentwicklung. Und damit nicht genug: Der Anspruch der Usability hört nicht mit den Grenzen der Maschine oder den Kanten des Geräts auf. Auch die Technische Dokumentation ist Teil des Produkts und der Produktwahrnehmung und trägt zu dessen Usability bei.

In der realen Nutzungssituation liegen dem User Produkt und Dokumentation als Einheit vor. Idealerweise sollte die Usability der beiden daher auch gemeinsam getestet werden. Auch unterscheiden Nutzerinnen und Nutzer nicht, ob sich der Handlungserfolg aufgrund eines ausgetüftelten Produktdesigns einstellt oder aufgrund einer gut zugänglichen und klaren Handlungsanweisung. Diesen Unterschied kann nur ein Usability-Test zutage fördern.

Wie teste ich die Usability meiner Dokumentation?

Der einfachste Weg, die Gebrauchstauglichkeit eines Produkts zu testen, ist eine heuristische Evaluation. Das heißt, dass sich jemand (im Fall einer Anleitung z. B. ein Mitglied der Redaktion) mit Produkt und Checkliste an den Schreibtisch setzt. Allerdings ist das, wie eine Reportage im Fernsehen zu schauen, anstatt selbst auf die Reise zu gehen: Man lernt schon etwas, aber die Intensität des Erlebens ist nicht vergleichbar. Der Redakteur oder die Redakteurin gehört im schlimmsten Fall gar nicht zur Zielgruppe, kennt das Produkt dafür in- und auswendig, ist dadurch ein Stück weit betriebsblind und kann nur begrenzt praktische Probleme und die Anwendungssituation simulieren.

Nun könnte man auch einen kleinen Teil der Zielgruppe mit Zettel und Stift an den Tisch setzen. Aber diese Personen wiederum haben nicht die Analyseerfahrung und außerdem werden sie im Normalfall nicht zugeben, was sie glauben, falsch machen zu können – so man sich dessen überhaupt beim theoretischen Durchdenken bewusst wird. Gerade im Ermitteln typischer Fehlanwendungen liegt aber ein besonderes Interesse. Checklisten durchzugehen ist fraglos wichtig, allein schon hinsichtlich der normativen Aspekte. Zur Einschätzung der Usability allein genügt dies allerdings nur selten.

Besser ist eine Testanwendung in realistischer, aber für die Wiederholbarkeit standardisierter Umgebung. Dabei sollten Versuchspersonen der echten Zielgruppe das echte Produkt mit der echten Anleitung in einer möglichst echten Situation auf Herz und Nieren testen. Auch Zeitdruck, Lichtverhältnisse, Störgeräusche und zur Verfügung stehende Hilfsmittel sollten realistisch sein.

Während des Testens wird die Versuchsperson gebeten, laut zu denken. Erleichtert wird dies, wenn die Aufgabe in Partnerarbeit, also mit einer zweiten Versuchsperson ausgeführt wird. Dabei werden Bild und Ton für die anschließende Auswertung aufgezeichnet. Interviews vor und nach dem Test können Erwartungen und Eindrücke der Versuchspersonen zugänglich machen. Bereits nach drei bis fünf Durchläufen mit verschiedenen Versuchspersonen lassen sich im Schnitt 80 % der typischen Bedienfehler finden.

Mit einem groß angelegten Universaltest nun alle Aspekte der Usability von Produkt und Anleitung abdecken zu wollen, ist meist zu viel gewollt. Besser ist es, mehrere kleine Tests zu konzipieren, die auf konkrete Teilfragestellungen ausgerichtet sind und deren Ergebnisse auch gezielt daraufhin analysierbar sind. Im Idealfall analysieren Produktentwicklung und Redaktion die Ergebnisse gemeinsam. Konkrete Fragestellungen mit Fokus auf der Anleitung können sein:

  • Wie lange benötigt eine Versuchsperson, um einen speziellen Bedienschritt korrekt auszuführen?
  • Wie geht die Versuchsperson an eine Fragestellung heran? Wie sucht sie in der Anleitung nach Informationen und wo sucht sie am Produkt nach der entsprechenden Funktion?
  • Wird die Anleitung systematisch durchgearbeitet oder nur für spezielle Probleme zu Rate gezogen? Liest die Versuchsperson eigeninitiativ weiter?
  • Wurden einzelne Passagen der Anleitung mehrfach gelesen?
  • Und natürlich: Welche Fehler werden besonders häufig gemacht und worin liegt die Fehlerquelle? In einem konstruktiven Mangel oder in einer ungeeigneten Handlungsanweisung?

Bei der Untersuchung der Bedienbarkeit von Bildschirmen oder komplexen Bedienpanels kann auch die Verwendung einer Eye-Tracking-Kamera sinnvoll sein, um Blickbewegungsmuster und Suchverhalten analysieren zu können. Generell gilt aber: Je komplexer die Methode, desto spezifischer muss die Fragestellung sein, um nicht in einem diffusen Datenchaos zu enden.

Wann ist der richtige Zeitpukt für einen Usability-Test?

Usability-Tests für Bedienkonzepte werden meist bereits während der Entwicklungsphase durchgeführt, also lange bevor die Anleitung Form annimmt. Aber auch Teile der Anleitung können schon in dieser frühen Phase des Produktlebenszyklus getestet werden, z. B. das Bildkonzept, das Navigationskonzept oder das Ausgabemedium. Der große Abschlusstest steht dann natürlich erst kurz vor der Markteinführung – dann ist es aber für größere Änderungen am Produkt meist zu spät.

Hier können Redaktion und Produktentwicklung Synergieeffekte nutzen: Beide benötigen für ihre Arbeit eine fundierte Zielgruppenanalyse und sind vom Kundenfeedback abhängig. Beide interessieren sich für konkrete Nutzungsszenarien und beide wollen, dass das Produkt nicht nur zum Gebrauch taugt, sondern den Nutzerinnen und Nutzern im besten Fall auch Freude bereitet.

Mit einem gemeinsamen Usability-Test für Produkt und Anleitung lassen sich nicht nur Produkt- und Markenimage aufwerten, sondern vor allem lässt sich der Support-Aufwand verringern: Weniger Bedienfehler bedeuten verringerte Unfallgefahr und weniger Rückläufe. Eine generelle Zufriedenheit prägt die Markenwahrnehmung und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Kaufs. Ein durchdachter Usability-Test kann somit einen Beitrag für verschiedene Phasen des Produktlebenszyklus leisten, von der Entwicklung bis zum Support.